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Amish People: Friedfertige Rebellen

Amish County in Indiana. Eine Reise mit Pferd und Wagen ins Gestern.

Das Leben in der religiösen Gemeinschaft der Amish läuft ein wenig langsamer.
Das Leben in der religiösen Gemeinschaft der Amish läuft ein wenig langsamer.
Sonntag in Amish County: mit Drahtesel und 1 PS zur Kirche.
Sonntag in Amish County: mit Drahtesel und 1 PS zur Kirche.
Spaziergang in der Abendsonne.
Spaziergang in der Abendsonne.

Rhythmisches Hufklappern begleitet die Kutschfahrt auf schnurgerader Autostraße. Der Mann auf dem Kutschbock trägt eine Schifferkrause wie Kapitän Ahab. Allerdings würde er niemals Jagd auf Moby Dick machen. Denn erstens ist Jacob Farmer und nicht Walfänger und zweitens verbietet sein streng orthodoxer Glauben jede Art von Gewalt. Strom, Autos, Telefon, Fernseher und Schmuck sind weitere Tabus auf der Verbotsliste seiner Glaubensgemeinschaft.

Auf der Chaussee von Elkhart nach Goshen im Nordzipfel des US- Bundesstaats Indiana rauschen Trucks und Pick-ups vorbei. Wenn Motorenlärm und Seitenwind dem Fuhrwerk heftig zusetzen, ruft Jacob dem Pferd manchmal etwas zu, das sich anhört wie "brav Rosa, gleich wird's ruhig". Auch mit seinen Glaubensbrüdern von "hiwwe wie driwwe", "us de alt un de nei Welt" spricht der 73-Jährige oft Pennsylvania-German. Diese Mundart, die im 18. Jahrhundert in der Pfalz gesprochen wurde, erleichtert deutschsprachigen Besuchern das Verstehen der bibeltreuen Menschen, die der als oberflächlich empfundenen modernen Welt entsagen und mit Pferdegespannen fahren. "Das lässt uns Zeit, an Gott zu denken", sagt Jacob.

Vor einer Abzweigung forciert Rosa das Tempo und biegt in eine schmale Allee ein. Am Wagenfenster zieht ein Farbenmeer wilder Blumen vorbei, sie strecken ihre leuchtenden Köpfe ins Licht. Jenseits der Allee duckt sich eine gewellte sattgrüne Landschaft. Mais, Roggen und Hafer wachsen auf gepflegten Feldern. Keine Abgase, kein Lärm. Wie Scherenschnitte zeichnen sich grasende Pferde, Windräder und weiß getünchte Farmgehöfte vor dem Horizont ab: eine überschaubare Gleichförmigkeit, die das Leben jenseits der Spaßgesellschaft symbolisiert. Nur 220 Kilometer, aber 300 Jahre von Chicago entfernt.

Ende des 17. Jahrhunderts spaltete sich eine radikale Gemeinschaft aus Deutschschweizern und Südwestdeutschen unter ihrem geistigen Führer Jakob Ammann von der Wiedertäufersekte der Mennoniten ab. Der Prediger forderte noch striktere Glaubensprinzipien und war gegen die Taufe vor dem Erwachsenenalter. Seine Anhänger, als Amische bekannt, als Ketzer gejagt, emigrierten ab 1730 in die Wildnis von Pennsylvania. Sie waren dem "heiligen Experiment" von William Penn gefolgt, der Siedlern in seiner Kolonie Religionsfreiheit zusicherte.

Heute leben 375.000 Amish verteilt in den USA. In einigen Orten wie in Elkhart locken Straßenschilder mit Aufforderungen wie "Come and see the Amish" Touristen in ein scheinbares Disneyland der guten alten Zeit. Zwar widersteht die Mehrheit von Indianas 50.000 Amish der Versuchung, so wie ihre Glaubensbrüder in Lancaster County in Pennsylvania Hauptakteure im touristischen Big Business zu werden. Dennoch droht der Tourismus auch Indianas Männer mit den scheitellosen halblangen Haaren, schwarzen Hosen und Strohhüten sowie deren ebenso schnörkellos gekleidete Frauen in die Rolle kostümierter Statisten zu drängen.

So wie Amos, der in Elkhart Touristen auf seinem Pferdegespann durch das Städtchen kutschiert. "Sie kommen, weil sie unsere Art zu leben interessiert", sagt Amos. "Manche siedeln sich hier sogar an, um unserem einfachen Leben nahe zu sein." Ein Tourist stellt fest: "Wir sollten öfter hierherkommen, wir können viel von den Amish lernen." Und was? "Demut, Dankbarkeit", antwortet der Mann aus Detroit. Solche Ansichten tun dem Selbstwertgefühl von Amos und den Amish gut, denen der Ruf der "religiösen Sonderlinge" und "einfältigen Deutschen" vorauseilt. Sie gestatten Fremden Zutritt in ihre Welt, stärken dadurch ihre eigene Identität und das Familieneinkommen: Touristendollars für die Erfüllung von Touristenerwartungen.

Während Amos zur nächsten Tour aufbricht, ist für Jacob die Fahrt zu Ende. Vor seiner Farm mit Gemüsebeeten und Blumengarten stoppt er die Kutsche. Es ist Abend geworden. Hinter Fensterscheiben flackern Ölfunzeln. In der Küche klappern Töpfe und Geschirr. Jacob entlässt Rosa auf die Koppel in den Feierabend. Gewiss, sagt er, das Leben der Gemeinschaft verändere sich. Man müsse gut abwägen, was für das eigene Leben Sinn ergebe. Seine Familie arbeite mit Druckluftsystemen statt mit Strom, dürfe aber im Haus von Nicht-Amish-Nachbarn eine Tiefkühltruhe besitzen und in deren Autos mitfahren. Der Griff zum Telefon ist nur in Notsituationen gestattet.

Marys Küche ist mittlerweile zum kleinen In-Home-Restaurant geworden. Die Einrichtung ist rustikal-gemütlich und selbst gezimmert. Heizung, Kochherd und Kühlschrank funktionieren mit Propangas. Um den langen Holztisch versammelt sich die Familie. Die Mädchen tragen graue, grüne oder braune Kleider, verheiratete Frauen schwarze, stets aus festen Stoffen, dazu Schürzen und Hauben. Haken und Ösen halten die Kleidung zusammen. Selbst Knöpfe dienen der Eitelkeit und sind untersagt.

Mary und Ora stellen große, schwere Schüsseln neben die Teller und sprechen ein Gebet. Dann kommen Brot und Apfelbutter auf den Tisch. Roastbeef, Hühnchen und Kartoffeln werden gereicht. Und während der opulent gefüllte Fleischteller noch halb voll ist, serviert Ora schon Speiseeis und dampfenden Kuchen zum Nachtisch. Statt Musik zirpen zur gesegneten Hausmannskost vor dem Fenster ein paar Grillen. Eine 100 Jahre alte Wanduhr schlägt. Ab und zu bellt der Hofhund, und manchmal mischt sich leises Klappern von Hufen in die Stille der Friedfertigen. Die Zeit vergeht auch hier, doch nur mit einer Pferdestärke.
Info: www.amishcountry.org


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